„Open Government“ – Versuch einer Begriffsbestimmung
Lesenswerter Beitrag von Johann Herzberg, Abteilung eGovernment & IT-Strategie der Landeshauptstadt Stuttgart: www.gov20.de/open-government-versuch-einer-begriffsbestimmung/
Auszüge mit Hervorhebungen von mir:
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Selbst die ursprünglich vorgeschlagene und nachfolgend vielfach unkritisch wiederholte Dreifach-Definition von Open Government als Transparenz, Partizipation und Kollaboration begründet bei genauerer Betrachtung kein in sich konsistentes Modell, sondern vielmehr eine Verbindung loser Schlagworte bzw. Teilkonzepte. Dies scheint mittlerweile auch der Obama-Regierung aufgefallen zu sein, denn sie spricht in Dokumenten jüngeren Datums von „three independent reasons“.
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Was zum gegenwärtigen Zeitpunkt fehlt, ist ein theoretischer Ordnungsrahmen. Nachfolgend soll daher ein „Zwei-Stadien“-Modell vorgestellt werden…Zwei Kernkonzepte: Transparenz und Interaktion
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Demnach sei es Aufgabe der Presse (und der Legislative), in Vertretung der Öffentlichkeit die Regierung zu überwachen. Ein Staat ist in dieser Lesart „offen“, wenn seine Handlungen durch Presse, Parlament und Öffentlichkeit beobachtbar und nachvollziehbar sind. Open Government war damit durch das Kernkonzept Transparenz definiert.
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Seitdem die 2008 gewählte Obama-Regierung dem Open Government-Ansatz jedoch zu weltweiter Prominenz verholfen hat, hat der Open Government-Begriff allerdings einen wesentlichen Bedeutungswandel erfahren. Offenheit bedeutet nun in erster Linie Interaktionsfähigkeit zwischen Staat und Zivilgesellschaft, ein offener Staat ist demnach ein interaktionsfähiger Staat.
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Der Staat teilt nicht mehr nur mit, sondern er hört nun auch zu. Das Transparenz-Prinzip ist in diesem Verständnis weiterhin wichtig, wird nun jedoch von einer hinreichenden zu einer notwendigen Bedingung.
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Open Innovation bezeichnet demgegenüber IT-gestützte Formen einer gemeinsamen Problemlösung von Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft und stellt damit das zentrale Umsetzungskonzept des Interaktions-Prinzips dar. Die Wirtschaft tritt nun neu in die Interaktionsbeziehung zwischen Politik und Zivilgesellschaft ein, da sie wertvolle Ressourcen und Kompetenzen zur gemeinsamen Problemlösung gesellschaftlicher Herausforderungen beizusteuern vermag.
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Open Government ist mehr als Open Data. Wichtig ist hierbei allerdings der Hinweis, dass Offenheit im Sinne von Interaktion zumindest in den USA nicht primär auf die Stärkung der Demokratie (Bürgerbeteiligung als Eigenwert) abzielt. Ziel einer verstärkten Interaktion von Staat, Zivilgesellschaft und Wirtschaft ist vielmehr die gemeinsame Problemlösung. […] Es geht in den USA also nicht in erster Linie um Legitimation, sondern um Innovation. […] Klassische Beteiligungsformate wie Wahlen und Volksentscheide transportieren hingegen nur sehr wenig Wissen von der Gesellschaft in den Staat hinein. Diese Formate sind daher nicht geeignet, um das Wissen von Bürgern und Experten situationsbezogen und direkt einzubinden. Andererseits lässt sich eine sinkende Zustimmung der Bevölkerung zu nichtpartizipativen Formen der Gemeinwohlgestaltung feststellen.
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Im Zusammenspiel beider Problemtypen ergibt sich die Einsicht, dass vom Staat enorme systemische Anpassungsleistungen gefordert sind, wenn er nicht seine grundsätzliche Fähigkeit zur Steuerung der Gemeinwesens verlieren will. Die Wahlurne als alleinige Schnittstelle zwischen Bürger und Staat kann insofern in der digitalen Gesellschaft auch aus wissenschaftlicher Sicht nicht mehr überzeugen. Staaten brauchen heute vielmehr komplexere Schnittstellen, weil auch die Probleme komplexer geworden sind. Das eigentliche Problem der Bürgerbeteiligung besteht daher nicht so sehr in der Frage, ob es mehr Volksentscheide geben sollte oder nicht, sondern in der Suche nach Methoden und Formaten, die es erlauben, das verteilte Wissen der Gesellschaft über IT-gestützte Beteiligungsformate nachhaltig in das Wissen des Staates zu überführen.
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Staatsmodernisierung im Sinne von Open Government zielt auf eine Stärkung des Staates, jedoch nicht in seiner klassischen Form als Interventionsstaat (top-down-Steuerung), sondern als Partizipationsstaat zur kooperativen Gestaltung der Gesellschaft (bottom-up-Steuerung). Der dominante Steuerungsmodus ist nicht mehr die Hierarchie (zentrale Steuerung, entspricht dem Weberschen Verwaltungsmodell) oder der Markt (dezentrale Steuerung, entspricht New Public Management), sondern die deliberative Netzwerksteuerung (entspricht Open Government). Dabei geht es um den gegenseitigen Austausch von Perspektiven und eingeübten Problembewältigungsmechanismen mit dem Ziel, kollektive Intelligenz zu aktivieren und in einem deliberativen Lernprozess zur Lösung immer komplexer werdender gesellschaftlicher Probleme einzusetzen.
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Letztlich ist es wichtig, das Problem hinter dem Schlagwort zu verstehen. Hinter dem Open Government-Ansatz steckt der Versuch, die Problemlösungsfähigkeit des Staates durch die verstärkte Beteiligung von Bürgern und privatwirtschaftlich organisierten Kompetenzen zu verbessern. Dabei geht es – im Sinne eines mitlaufenden, jedoch klar abgrenzbaren Diskurses – immer auch um Fragen der Erneuerung der Demokratie. Dieses Doppelproblem hinter dem Schlagwort wird nicht verschwinden, selbst wenn man andere Begriffe benutzen würde.
via www.gov20.de
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